Verfahrensordnung der Gutachterstelle für Arzthaftungsfragen bei der Bayerischen Landesärztekammer vom 13. Oktober 2024 (Bayerisches Ärzteblatt 12/2024, S. 580 f.)

Inkraftgetreten am 01.01.2025 • Veröffentlicht in Bayerisches Ärzteblatt 12/2024, S. 580 f.

§ 1
Einrichtung der Gutachterstelle

(1)
Bei der Baye­ri­schen Landes­ärz­te­kam­mer ist eine Gutachter­stelle für ärzt­li­che Behand­lungs­feh­ler einge­rich­tet, die aus einer Geschäfts­stelle und einer unab­hän­gi­gen Kommis­sion besteht. Sie kann bei Strei­tig­kei­ten wegen der Vermu­tung oder des Vorwurfs fehler­haf­ter ärzt­li­cher Behand­lung ange­ru­fen werden.
(2)
Die Baye­ri­sche Landes­ärz­te­kam­mer stellt für die Tätig­keit dieser Gutachter­stelle die notwen­di­gen perso­nel­len und sach­li­chen Mittel zur Verfü­gung und rich­tet insbe­son­dere die Geschäfts­stelle ein.
(3)
Das Verfah­ren ist kein Schieds­ver­fah­ren im Sinne der Zivil­pro­zess­ord­nung.
(4)
Die Aufga­ben des Vermitt­lers auf der Ebene eines ärzt­li­chen Kreis­ver­ban­des (Art. 37 Heil­be­rufe-Kammer­ge­setz- HKaG) bei Strei­tig­kei­ten zwischen Arzt und Nicht­a­rzt blei­ben unbe­rührt.

§ 2
Aufgabe und Zielsetzung

Aufgabe der Gutachter­stelle ist es, eine von einem Arzt oder einer ärzt­lich gelei­te­ten Einrich­tung verant­wor­tete Behand­lung unab­hän­gig und neutral zu begut­ach­ten und wegen eines behaup­te­ten Gesund­heits­scha­dens eine unver­bind­li­che Bewer­tung der Haftungs­frage dem Grunde nach abzu­ge­ben. Dadurch soll Pati­en­ten die Durch­set­zung begrün­de­ter Ansprü­che und Ärzten die Zurück­wei­sung unbe­grün­de­ter Vorwürfe erleich­tert werden. Ziel ist die Förde­rung einer einver­nehm­li­chen außer­ge­richt­li­chen Streit­bei­le­gung.

§ 3
Zusammensetzung der Kommission, Ehrenamt

(1)
Mitglie­der der Kommis­sion sind Ärzte mit abge­schlos­se­ner Fach­a­rzt­wei­ter­bil­dung und Juris­ten mit der Befä­hi­gung zum Rich­ter­amt. Sie verfü­gen über die erfor­der­li­che beruf­li­che Erfah­rung und werden in dieses Ehren­amt beru­fen.
(2)
Der Vorstand der Baye­ri­schen Landes­ärz­te­kam­mer bestellt für die Dauer seiner Wahl­pe­ri­ode die Mitglie­der der Kommis­sion, einen Arzt als Vorsit­zen­den dieser Kommis­sion und einen Juris­ten als Vorsit­zen­den der juris­ti­schen Kommis­sion sowie die Stell­ver­tre­ter der beiden Vorsit­zen­den.
(3)
Vorstands­mit­glie­der der Baye­ri­schen Landes­ärz­te­kam­mer können nicht Mitglied der Kommis­sion sein.
(4)
Ein Mitglied kann seine Tätig­keit in der Kommis­sion jeder­zeit durch schrift­li­che Erklä­rung gegen­über dem Vorstand der Baye­ri­schen Landes­ärz­te­kam­mer been­den.

§ 4
Unabhängigkeit und Pflichten der Kommissionsmitglieder

(1)
Die Mitglie­der der Kommis­sion sind bei der Wahr­neh­mung ihrer Aufga­ben unab­hän­gig und an Weisun­gen nicht gebun­den. Sie sind allein ihrem Gewis­sen und ihrer fach­li­chen Über­zeu­gung verant­wort­lich. Sie sind zur Vertrau­lich­keit und Verschwie­gen­heit verpflich­tet.
(2)
Ein Mitglied der Kommis­sion, das bereits vor Einlei­tung des Verfah­rens mit der verfah­rens­ge­gen­ständ­li­chen ärzt­li­chen Behand­lung befasst war, ist von der Mitwir­kung ausge­schlos­sen.

§ 5
Verfahrensbeteiligte, Antragsberechtigung

(1)
Betei­ligte und zugleich Antrags­be­rech­tigte sind
a)
der Patient, der das Vorliegen eines Behandlungsfehlers und einen dadurch verursachten Gesundheitsschaden vermutet;
b)
im Falle seines Todes dessen Erbe/n, und der behandelnde Arzt und/oder das Krankenhaus oder die ärztlich geleitete Behandlungseinrichtung sowie deren jeweilige Haftpflichtversicherung.
(2)
Die Betei­lig­ten (Antrag­stel­ler, Antrags­geg­ner, Haft­pflicht­ver­si­che­rung des Antrags­geg­ners) können sich vertre­ten lassen. Auf Anfor­de­rung ist eine Voll­macht vorzu­le­gen.

§ 6
Verfahrensvoraussetzungen, Verfahrenshindernisse

(1)
Das Verfah­ren findet auf Antrag statt, der eine Darstel­lung des zu begut­ach­ten­den Sach­ver­hal­tes aus Sicht des Antrag­stel­lers enthal­ten muss. Dieser Antrag kann bis zur Zustim­mung der jewei­li­gen Verfah­rens­be­tei­lig­ten mit der Durch­füh­rung des Gutach­ter­ver­fah­rens jeder­zeit zurück­ge­nom­men werden; danach nur noch mit Einver­ständ­nis dieser Betei­lig­ten.
(2)
Ein Gutach­ter­ver­fah­ren setzt die Zustim­mung aller Betei­lig­ten voraus. Die Zustim­mung kann ohne Begrün­dung verwei­gert werden. Die erteilte Zustim­mung kann nur mit Einver­ständ­nis der jewei­li­gen Betei­lig­ten zurück­ge­nom­men werden. Eine Rück­er­stat­tung bereits geleis­te­ter Verfah­rens­kos­ten findet nicht statt. Bereits ange­fal­lene Gutach­tens­kos­ten blei­ben ausgleichs­pflich­tig.
(3)
Die Gutachter­stelle nimmt kein Verfah­ren auf bzw. been­det ein bereits aufge­nom­me­nes Verfah­ren,
a)
wenn der zur Begutachtung gestellten Sachverhalt Gegenstand eines Zivilprozesses ist oder war,
b)
wenn der Streitgegenstand durch einen Vergleich erledigt wurde,
c)
wenn ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren (auch gegen Unbekannt) oder ein strafgerichtliches Verfahren wegen derselben Tatsachen anhängig ist oder war,
d)
bei Behandlungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften, die keine unmittelbare Haftung des Arztes begründen.
(4)
Wenn der behaup­tete Behand­lungs­feh­ler bei Antrag­stel­lung länger als 5 Jahre zurück­liegt, kann die Durch­füh­rung des Verfah­rens unab­hän­gig vom Zeit­punkt der Kennt­nis des Antrag­stel­lers abge­lehnt werden. Dies gilt auch, wenn das Verfah­ren mit unver­hält­nis­mä­ßig hohem Aufwand verbun­den wäre. Anträge, die nicht der Form des § 8 Abs. 1 genü­gen, können zurück­ge­wie­sen werden. Bei wieder­hol­ter Antrag­stel­lung kann der zeit­lich nach­fol­gende Antrag zurück­ge­wie­sen werden.
(5)
Sind für die Über­prü­fung eines Behand­lungs­vor­wur­fes mehrere Gutach­ter­kom­mis­si­o­nen oder Schlich­tungs­stel­len zustän­dig, so führt grund­sätz­lich dieje­nige Gutach­ter­kom­mis­sion oder Schlich­tungs­stelle das Verfah­ren insge­samt durch, bei der dieses zuerst bean­tragt wurde, sofern die ande­ren betrof­fe­nen Gutach­ter­kom­mis­si­o­nen oder Schlich­tungs­stel­len hier­mit einver­stan­den sind.

§ 7
Mitwirkungspflichten der Verfahrensbeteiligten

Die Betei­lig­ten sind zur Unter­stüt­zung der Gutachter­stelle bei der Aufklä­rung des Sach­ver­halts verpflich­tet, insbe­son­dere sind die erfor­der­li­chen Infor­ma­ti­o­nen zur Verfü­gung zu stel­len und Schwei­ge­pflich­tent­bin­dungs­er­klä­run­gen zu ertei­len. Auf Anfor­de­rung der Gutachter­stelle ist die voll­stän­dige Behand­lungs­do­ku­men­ta­tion in einer für die Begut­ach­tung geeig­ne­ten Form kosten­frei zur Verfü­gung zu stel­len. Eine unzu­rei­chende Mitwir­kung kann zur Been­di­gung des Verfah­rens führen.

§ 8
Verfahrensgrundsätze

(1)
Der verfah­rens­ein­lei­tende Antrag ist digi­tal zu stel­len, das nach­fol­gende Verfah­ren wird digi­tal durch­ge­führt.
(2)
Eine Zeugen- oder Partei­ver­neh­mung findet nicht statt.
(3)
Die Behand­lung wird auf der Grund­lage der beige­zo­ge­nen Behand­lungs­do­ku­men­ta­tion geprüft. Die Kommis­sion prüft das Vorbrin­gen des Antrag­stel­lers umfas­send.
(4)
In der Regel wird ein exter­nes Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten einge­holt. Die medi­zi­ni­sche Behand­lung soll fach­ge­biets­gleich beur­teilt werden. Die Beauf­tra­gung mehre­rer Sach­ver­stän­di­ger ist möglich und erfolgt nach pflicht­ge­mä­ßem Ermes­sen.
(5)
Vor Beauf­tra­gung des Sach­ver­stän­di­gen erhal­ten die Betei­lig­ten die Gele­gen­heit, sich zu dessen Person und zu den vorge­se­he­nen Beweis­fra­gen zu äußern. Die Betei­lig­ten können zur Frage­stel­lung an den Sach­ver­stän­di­gen Anre­gun­gen vortra­gen.
(6)
Für die Ableh­nung eines Sach­ver­stän­di­gen oder eines Mitglieds der Gutach­ter­kom­mis­sion gelten die Bestim­mun­gen der Zivil­pro­zess­ord­nung entspre­chend. Es entschei­det ein nicht von der Ableh­nung betrof­fe­nes juris­ti­sches Mitglied der Kommis­sion.
(7)
Das externe Gutach­ten erhal­ten die Betei­lig­ten mit der Gele­gen­heit zur Stel­lung­nahme.

§ 9
Abschließende Stellungnahme

(1)
Die zustän­dige Kommis­sion gibt in der Beset­zung mit einem Fach­a­rzt und einem Juris­ten mit der Befä­hi­gung zum Rich­ter­amt eine unver­bind­li­che abschlie­ßende Stel­lung­nahme dazu ab, ob eine fehler­hafte ärzt­li­che Behand­lung einen Gesund­heits­scha­den des Pati­en­ten verur­sacht hat. Diese Bewer­tung wird medi­zi­nisch und juris­tisch begrün­det und berück­sich­tigt die Stel­lung­nah­men der Betei­lig­ten. Sie enthält keine Fest­stel­lung zur Höhe eines etwai­gen Entschä­di­gungs- oder Schmer­zens­geldan­spru­ches.
(2)
Ein Rechts­mit­tel hier­ge­gen findet nicht statt. Die abschlie­ßende Stel­lung­nahme der Kommis­sion been­det das Gutach­ter­ver­fah­ren.

§ 10
Datenschutz

Die daten­schutz­recht­li­chen Vorschrif­ten sind zu beach­ten. Vom Pati­en­ten ist eine den gesetz­li­chen Vorga­ben entspre­chende Schwei­ge­pflich­tent­bin­dungs­er­klä­rung einzu­ho­len.

§ 11
Patientenvertretung

Besteht ein Pati­en­ten­be­auf­trag­ter, wird diesem, soweit Pati­en­ten­rechte berührt sein können, auf Wunsch Einblick in verfah­rens­or­ga­ni­sa­to­ri­sche Abläufe der Gutachter­stelle gewährt.

§ 12
Kosten

(1)
Ihre eige­nen Kosten, einschließ­lich der Kosten ihrer Vertre­tung, tragen die Betei­lig­ten selbst. Im Übri­gen ist das Verfah­ren für den Pati­en­ten bzw. dessen Erben kosten­frei.
(2)
Von den Haft­pflicht­ver­si­che­run­gen der Ärzte und Behand­lungs­ein­rich­tun­gen werden Pauschal­ge­büh­ren nach nähe­rer Verein­ba­rung erho­ben. Mit Zustim­mung zum Verfah­ren erklärt die Haft­pflicht­ver­si­che­rung ihre Bereit­schaft, die exter­nen Kosten der Gutachter­stelle zu tragen. Dies gilt auch für den Fall einer wirk­sa­men Rück­nahme der Zustim­mung bzw. des Antrags gemäß § 6 Abs. 1, 2 nach Gutach­tens­er­stat­tung. Waren mehrere Ärzte oder Behand­lungs­ein­rich­tun­gen auf Grund eines einheit­li­chen Behand­lungs­ver­tra­ges am Verfah­ren betei­ligt, werden die Kosten antei­lig auf ihre Haft­pflicht­ver­si­che­rer umge­legt. Die Entschä­di­gung von Sach­ver­stän­di­gen rich­tet sich nach dem Justiz­ver­gü­tungs- und Entschä­di­gungs­ge­setz in der jeweils gelten­den Fassung.

§ 13
Rechtsweg

Durch das Verfah­ren der Gutachter­stelle wird der Rechts­weg nicht ausge­schlos­sen.

§ 14
Inkrafttreten, Übergangsregelung

Diese Verfah­rens­ord­nung tritt am 01.01.2025 in Kraft und findet auf ab diesem Zeit­punkt neu einge­hende Verfah­ren Anwen­dung.
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