Statement von Dr. Gerald Quitterer im Vorfeld des 79. Bayerischen Ärztetages

Pressemeldung — 06.10.2020

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie zu unserem Pressegespräch im Vorfeld des 79. Bayerischen Ärztetags in München.

Standortbestimmung Corona
Seit vielen Monaten ist der Alltag in unseren Praxen und Kliniken ein anderer, er ist geprägt von der sogenannten neuen Normalität, die immer noch viele Herausforderungen mit sich bringt.
Wir Ärztinnen und Ärzte – mit unseren Teams – haben bislang in einer ungewissen, neuen Situation große Handlungsfähigkeit bewiesen, jede und jeder an ihrem/seinem Platz. Bestehende Strukturen haben gut funktioniert, daher brauchen wir auch keine neuen aufzubauen. Ohne diese existenten stationären und ambulanten Strukturen vor Ort hätten wir die Corona-Pandemie gerade in der Anfangsphase nicht so gut bewältigen können, einschließlich der sogenannten Versorgungsärzte. Unser bestehendes Gesundheitssystem mit seiner flächendeckenden und wohnortnahen niedergelassenen und flächendeckenden Krankenhausversorgung sowie dem Öffentlichen Gesundheitsdienst, aber auch mit den uns unterstützenden nichtmedizinischen Fachkräften, ist in der Lage, in dieser Zeit der gesundheitlichen Bedrohung die Bevölkerung zu versorgen. Und auch die neuesten Zahlen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) zeigen: Gerade auch in der Hochphase der Corona-Pandemie hat die ambulante Versorgung bestens funktioniert. Gezeigt hat sich jedoch auch, dass die Rotstiftpolitik beim Öffentlichen Gesundheitsdienst personelle und sachliche Lücken generiert hat; ein Mangel, dessen Auswirkungen wir heute deutlich spüren.
Gute Funktionalität - dies gilt auch für die ärztlichen Selbstverwaltungs-Körperschaften: Ärztliche Kreisverbände, Ärztliche Bezirksverbände und die Bayerische Landesärztekammer. Sie haben gute Arbeit geleistet und auch den Regelbetrieb weiter aufrechterhalten, wofür ich allen Handelnden ausdrücklich danke.

Einen Aspekt möchte ich heute besonders aufgreifen:

Sorgfalt bei Attesten zur Mund-Nasen-Bedeckung
Bei der Ausstellung ärztlicher Atteste müssen Ärztinnen und Ärzte gemäß § 25 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns mit der notwendigen Sorgfalt verfahren und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung aussprechen. Ein Attest kann nur aus der unmittelbaren Kenntnis der gesundheitlichen Situation des Patienten erstellt werden. Deshalb sind eine gründliche Anamnese und eine körperliche Untersuchung entsprechend den medizinisch-fachlichen Standards notwendig. Wer ohne die notwendige Sorgfalt oder gar nur aus Gefälligkeit ein Attest ausstellt, verstößt nicht nur gegen die Berufsordnung, sondern macht sich unter Umständen auch strafbar – mit allen Konsequenzen.
In der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19. Juni 2020 ist in § 1 Abs. 2 Nr. 2 festgelegt, dass Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist, von der Trageverpflichtung befreit sind. Für die erforderliche Glaubhaftmachung ist ein formloses ärztliches Zeugnis hilfreich, aber nicht zwingend vorgegeben.
Nach meiner Auffassung sollten Ärztinnen und Ärzte, die die infektiologische Sinnhaftigkeit einer MNB in Frage stellen, nicht den weitgehend gesellschaftlichen Konsens über das Tragen von MNB, die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts und nicht zuletzt die Grundsatzentscheidung des Verordnungsgebers ignorieren. Atteste über die Unzumutbarkeit des Tragens einer MNB sollten nur ausgestellt werden, wenn schwerwiegende medizinische Gründe vorliegen. Der Arzt dient laut § 1 der Bundesärzteordnung nicht nur der Gesundheit des einzelnen Menschen, sondern auch der Gesundheit des gesamten Volkes.
Über einen entsprechenden Leitantrag des BLÄK-Präsidiums zum sorgfältigen und abwägenden Vorgehen bei Attesten zur Befreiung von der MNB wird auf dem Bayerischen Ärztetag 2020 abgestimmt.

Und noch zwei Aspekte sind mir wichtig:

Grippeimpfung durch Apotheker
Wir müssen nicht den Apothekern die Grippeimpfung übertragen mit der vorgeschobenen Begründung, die Impfquoten zu erhöhen. Dabei hat man folgendes Phänomen außer Acht gelassen: Ich als Arzt muss meinen Impfstoff vorbestellen, um all die Patienten, bei denen nach der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts (RKI) eine Impfung durchgeführt werden soll, impfen zu können. Im Falle einer Impfstoffknappheit, wie sie aktuell wieder besteht bzw. droht, müssen die anderen Patienten vertröstet werden. Oder gehen sie jetzt in dieser Situation zum Apotheker, der ohne Vorbestellung und auf direktem Bezugsweg an Impfstoff kommt? Es geht also nicht um eine möglichst lückenlose Durchimpfung, sondern um das sorgfältige Abwägen von Risiko.

Gesundheit und Umwelt
Der Klimawandel wird die Gesundheitsversorgung und damit die -systeme weltweit vor große Herausforderungen stellen. Wir müssen uns mit dessen Folgen für die Patientenversorgung befassen. Denn eine Zunahme von Erderwärmung und Umweltkatastrophen bedeutet eben auch potenziell das erhöhte Risiko von Ausbrüchen übertragbarer Krankheiten. Auf einem wärmeren Planeten könnten sich beispielsweise auch durch Tiere übertragene Krankheiten in neue Gebiete ausbreiten. Mehr Herzinfarkte und Allergien, neue Infektionskrankheiten – der Klimawandel hat negative Folgen für die Gesundheit. Darauf müssen wir uns einstellen, entsprechendes Wissen aufbauen sowie Monitoring und Frühwarnsysteme etablieren. Was nicht geschehen darf: Ökologie und Pandemie gegeneinander ausspielen. Dass das uns Ärztinnen und Ärzte angeht, lässt sich aus unserer Berufsordnung ableiten: „Aufgabe des Arztes ist es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken.“ [BO §1 (2)]

Damit komme ich zu den aktuellen Zahlen, Daten und Fakten der Bayerischen Landesärztekammer.

Einige markante Kennzahlen zur Bayerischen Landesärztekammer.
Gleich zu Beginn die Arztzahlen-Entwicklung: Es gab in Bayern noch nie so viele Ärztinnen und Ärzte wie heute.
Die Zahl aller gemeldeten Ärztinnen und Ärzte stieg zwischen 30. September 2019 und 30. September 2020 von 86.359 auf 88.560. Ein Zuwachs von 2,6 Prozent. Davon sind 46.923 Männer (Vorjahr: 46.141) und 41.637 Frauen (Vorjahr: 40.218). Die Zahl der Ärzte erhöhte sich um 1,7 Prozent und die der Ärztinnen um 3,5 Prozent.

Und dennoch fehlen Ärztinnen und Ärzte beispielsweise im öffentlichen Dienst oder auch im ambulanten und stationären Sektor. Zu nennen ist hier vor allem der immer größere Bedarf in der alternden Bevölkerung. Außerdem scheint eine neue Generation von Ärzten nicht mehr so bereit zu sein, das gleiche Stundenvolumen wie die altersbedingt Ausscheidenden zu leisten; auch weil junge Ärzte lieber in angestellter Tätigkeit (40 Stunden-Woche) oder in Teilzeit arbeiten. Eine weitere Ursache liegt in der regionalen Verteilung: Einige Regionen – vor allem attraktive Großstädte – sind überversorgt während manche ländliche Räume unterversorgt sind. Großstädte wie München oder Nürnberg haben eine hohe Arztdichte. Dies schließt jedoch nicht aus, dass es innerhalb der eigentlich überversorgten Region einzelne Stadtteile gibt, die unterversorgt bleiben. Auch die Verteilung hinsichtlich der ärztlichen Fachrichtungen kann regional sehr unterschiedlich sein.

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