22. Suchtforum in Bayern „Online-Sucht: Flucht aus dem Real-Life?“
Pressemeldung — 25.04.2023
Die Nutzung des Internets, der Einsatz digitaler Kommunikation und eine Vielfalt sogenannter sozialer Medien sind mittlerweile feste Bestandteile unseres beruflichen wie privaten Alltags. Neben den zahlreichen nützlichen Aspekten und Vorteilen darf nicht übersehen werden, dass einige Menschen, insbesondere Jugendliche, durch diese Technologien in Probleme geraten können.
Neurobiologische Forschungsergebnisse zeigen, dass für die Internetsucht ähnliche biologische Prozesse wie bei stoffgebundenen Süchten zugrunde liegen. In Analogie zu den psychoaktiven Substanzen zeigt die Medien- und Internetnutzung der Bevölkerung die ganze Bandbreite zwischen völlig unauffälligem, exzessivem bis hin zu problematischem Verhalten. Laut einer Studie einer bundesweiten gesetzlichen Krankenkasse erfüllen in Deutschland 8,4 Prozent der männlichen und 2,9 Prozent der weiblichen jungen Menschen im Alter zwischen zwölf und 25 Jahren die Kriterien für eine Abhängigkeit. Aber auch Personen jenseits der 25 können von derartigen Störungsbildern betroffen sein. Diese Zahlen lassen aufhorchen. Deshalb widmet sich das 22. Suchtforum in Bayern, das am 26. April 2023 als Web-Seminar angeboten wird, dem Thema Medien- und Internetabhängigkeit.
Die Expertinnen informieren das Fachpublikum unter anderem über aktuelle Forschungsergebnisse zur Computerspiel- und Internetsucht bei Jugendlichen, analysieren die klinischen Krankheitsbilder von
Onlinekauf-, -spiel- und -sexsucht und diskutieren Präventionsmöglichkeiten und Behandlungsansätze.
Dr. med. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, fordert die Politik zum Handeln auf: „Zahlreiche junge Menschen können ihren Konsum von Games und sozialen Medien nicht mehr kontrollieren und verbringen jeden Tag übermäßig viele Stunden vor dem PC und dem Smartphone, teilweise bis in die späte Nacht hinein. Viele Betroffene vernachlässigen in Folge ihres Suchtverhaltens ihre sozialen Kontakte, geraten in Streit mit ihrer Familie und leiden oftmals auch unter tiefgreifenden gesundheitlichen Problemen – etwa Übergewicht, Haltungsschäden, Kurzsichtigkeit, Depressionen sowie Schlaf- und Aufmerksamkeitsstörungen. Aus diesen Gründen müssen gerade Kinder und Jugendliche besser vor einer unkontrollierten und exzessiven Nutzung von Videospielen und Online-Medien geschützt werden. Ich fordere deshalb die Politik dazu auf, bei der Altersbewertung von Games stärker zu berücksichtigen, ob diese eine hohe Spielbindung und ein definiertes Suchtpotenzial erwarten lassen. Gerade die Altersfreigabe „Ab 0 Jahren“ sehe ich in diesem Zusammenhang sehr kritisch. Außerdem plädiere ich für eine Intensivierung bundesweiter Aufklärungskampagnen, im Rahmen derer Jugendliche, Eltern und Lehrkräfte gezielt über das Thema Videospielsucht sowie über einen verantwortungsbewussten Umgang mit sozialen Medien informiert werden. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche medienkompetenter werden.“*
Professor Dr. med. Oliver Pogarell, 1. Vorsitzender der Bayerischen Akademie für Suchtfragen (BAS), ergänzt: „In der Tat gibt es mittlerweile eine wachsende Anzahl an Personen, die abhängige Verhaltensweisen entwickeln, die durch exzessive Nutzung des Internets und digitaler Technologien ausgelöst werden. Diese Störungen können sich auf viele verschiedene Arten manifestieren, wie zum Beispiel übermäßiges Online-Spielen oder Online-Sportwetten, extremes Nutzen von sozialen Netzwerken oder übermäßige Beschäftigung mit pornographischen Inhalten.
Die Konsequenzen dieser internetbezogenen Störungen können verheerend sein, da sie nicht nur Lebensqualität und Wohlbefinden, sondern nahezu alle Lebensbereiche der Betroffenen beeinträchtigen können. Es ist wichtig, dass sich die Gesellschaft diesem Problem stellt und nach Lösungen sucht, um Betroffene wirksam zu unterstützen.
Das Verständnis dieser Störungen, der Entstehungsmechanismen und der Risikofaktoren setzt Forschung und wissenschaftliche Untersuchungen voraus, und bildet die Grundlage für eine klinisch orientierte Entwicklung geeigneter Strategien zur Prävention und Therapie. Gleichzeitig ist es wichtig, das Bewusstsein für diese Problematik zu erhöhen, um internetbezogene Störungen zu verhindern oder frühzeitig behandeln zu können.“
Professor Dr. Heiner Vogel, Vorstandsmitglied der Psychotherapeutenkammer Bayern (PTK Bayern), weist auf die vielfältigen Probleme und Herausforderungen aus psychotherapeutischer Sicht hin: „Medien- und Internetabhängigkeit treten sowohl im Erwachsenenalter, zunehmend häufiger aber auch im Kindes- und Jugendalter auf. Die sozialen Einschränkungen während der Coronakrise führten zu einem deutlichen Anstieg des Nutzungsverhaltens von digitalen Medien, insbesondere für digitale Spiele. Corona hat diese Entwicklung und entsprechende Abhängigkeiten insofern auch gefördert. Starke soziale Einschränkungen in allen Lebensbereichen, wie Schulabstinenz, Verlust von Ausbildungsstelle bzw. Arbeitsplatz und weitere soziale Isolation können die Folge sein. Soziale Kompetenzdefizite sind häufig aber auch von ursächlicher Bedeutung – somit ein klassischer, aber besonders problematischer Teufelskreis. Gleichermaßen gilt dies für komorbide Störungen wie Depressionen, Ängste und stoffgebundene Süchte. Entsprechend besteht ein deutlicher Bedarf an Prävention, Beratung, Behandlung und Forschung. Medien- und Internetabhängigkeit kann als Verhaltenssucht im Rahmen der ICD-11 diagnostiziert werden. Erprobte Behandlungsansätze liegen bereits vor.“
Dr. Christian Machon, Vorstandsmitglied der Bayerischen Landesapothekerkammer, stellt auch in den öffentlichen Apotheken einen vermehrten Beratungsbedarf bei nichtsubstanzgebundenen Suchterkrankungen wie der Mediensucht fest: „Eine exzessive Computernutzung kann u. a. zu schulischem Leistungsabfall, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen oder Schlafstörungen führen. Der Wunsch der Eltern nach einfachen Lösungen, wie der Einnahme leistungsfördernder Präparate oder „Schlafhilfen“ setzt hier allerdings am falschen Punkt an. Auch bei auftretenden Kopfschmerzen durch den so genannten „Handynacken“ ist von einer leichtfertigen, häufigen Einnahme von Schmerzmitteln entschieden abzuraten. Zudem führt exzessiver Medienkonsum in Kombination mit mangelnder Bewegung und ungesunder Ernährung häufig zu Übergewicht. Apothekerinnen und Apothekern kommt hier bei der Beratung somit eine wichtige Rolle zu: Sie leisten Aufklärungsarbeit und bieten eine Lotsenfunktion, das heißt, gezielt bei den Eltern/Erziehungsberechtigten das Medienverhalten der Kinder zu hinterfragen, für das Thema „Onlinesucht“ zu sensibilisieren und Hilfsangebote zu vermitteln.“
Das 22. Suchtforum wird gemeinsam von BAS, BLÄK, BLAK und PTK Bayern am 26. April 2023 online als Web-Seminar veranstaltet. Zielgruppe sind vor allem Ärztinnen, Apothekerinnen, Psychotherapeutinnen, Mitarbeiterinnen von Suchthilfeeinrichtungen, Suchtberatungsstellen sowie weitere mit dem Thema Abhängigkeitserkrankungen befasste Berufsgruppen.
Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS) BAS Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)
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Die BAS beschäftigt sich als Transferinstitut zwischen Forschung und Praxis mit wissenschaftlichen und praxisbezogenen Fragestellungen der Prävention und Behandlung von Suchterkrankungen. Sie wurde im Herbst 1997 mit dem Zweck gegründet, die Verbesserung des öffentlichen Gesundheitswesens im Suchtbereich gezielt zu fördern. Zum Themenkreis der BAS gehören körperliche und psychosoziale Störungen beziehungsweise Krankheiten im Zusammenhang mit Alkohol, Nikotin, illegalen Drogen und psychoaktiv wirkenden Medikamenten. Darüber hinaus befasst sie sich auch mit den sog. nicht-substanzgebundenen bzw. Verhaltenssuchten wie den pathologischen Glücksspielen. Auch weitere mit Abhängigkeitsstörungen assoziierte Gesundheitsthemen wie z. B. Angststörungen, Depressionen oder Essstörungen werden behandelt. Ein zentrales Ziel der BAS besteht in der Förderung des Transfers zwischen Wissenschaft und Praxis. Neben der jährlichen Vortragsreihe organisiert sie regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen und Tagungen.
Bayerische Landesapothekerkammer − Körperschaft des öffentlichen Rechts (BLAK)
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Die BLAK ist die Berufsvertretung der bayerischen Apothekerinnen und Apotheker. Sie ist Körperschaft des öffentlichen Rechts und unterliegt der Aufsicht des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege. Die Apothekerkammer wacht über die Erfüllung der Berufspflichten durch die Apothekerinnen und Apotheker und vertritt die beruflichen Interessen der Apothekerschaft gegenüber Politik und Gesellschaft. Darüber hinaus bietet sie ihren über 16.000 Mitgliedern eine Vielzahl an unterstützenden Dienstleistungen und Services, wie zum Beispiel ein breites Angebot an Fort- und Weiterbildungen oder ein apothekenspezifisches Qualitätsmanagementsystem. Die Apothekerkammer gewährleistet durch ihre Mitglieder eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und trägt damit aktiv zum Patienten- und Verbraucherschutz bei.
Bayerische Landesärztekammer − Körperschaft des öffentlichen Rechts (BLÄK)
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Die BLÄK wurde 1946 als Körperschaft des öffentlichen Rechts gebildet. Sie ist zusammen mit 63 Kreisverbänden und acht Bezirksverbänden die gesetzliche Berufsvertretung aller bayerischen Ärzte. Zu den Aufgaben der BLÄK gehören unter anderem die Wahrnehmung der beruflichen Belange der Ärzte, die Förderung der ärztlichen Fortbildung sowie die Überwachung der Erfüllung der ärztlichen Berufspflichten. Die BLÄK engagiert sich derzeit für rund 90.000 Ärztinnen und Ärzte. Alle zur Berufsausübung berechtigten Ärztinnen und Ärzte, die im Freistaat ärztlich tätig sind oder dort ihren Hauptwohnsitz haben, sind Pflichtmitglieder der BLÄK.
Psychotherapeutenkammer Bayern (PTK Bayern), Körperschaft des öffentlichen Rechts
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Die PTK Bayern ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und die Berufsvertretung der rund 9.600 Psychotherapeutinnen in Bayern. Nach dem Heilberufe-Kammergesetz (HKaG) gehört es zu den wesentlichen Aufgaben der Heilberufekammer, die beruflichen Belange ihrer Mitglieder wahrzunehmen, die Erfüllung der psychotherapeutischen Berufspflichten zu überwachen, die psychotherapeutische Fort- und Weiterbildung zu fördern und in der öffentlichen Gesundheitspflege mitzuwirken.